XXXLutz

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HERZLICH WILLKOMMEN

DIESE HITZE

In einem entlegenen, pampaähnlichen Winkel Deutschlands hatte man neben einer Autobahnausfahrt ein Möbelhaus gebaut: Ein riesiger Parkplatz, heute, am heißesten Tag des Jahres, fast leer; ein fünfstöckiges Gebäude mit Glasfront, die an weniger penetrant sonnigen Tagen einen Blick auf nach irgendeinem, von außen nicht durchschaubarem System zusammengestellte Möbel ermöglichte, mittig verdeckt von einem roten, sprechblasenförmigen Schild, auf dem in aggressiv simplen, hohen weißen Lettern „XXXLutz“ stand; dann, ganz am unteren Rande der Blase, in kleinerer, weniger bedrohlicher Schrift, wie ein Nachgedanke: „HERZLICH WILLKOMMEN“. Ein paar Meter vom Eingang entfernt saß, über eine kleine Grasfläche gespannt, ein überdimensionierter roter Stuhl, dessen Rückenlehne noch über den Laden hinausragte. Rund um das Grundstück war für Kilometer nur vertrocknetes, braungelbes Gras und Unkraut, das von den immergrünen Zuchthecken auf dem Parkplatz ausgelacht zu werden schien. Es war windstill.

Im Kofferraum eines auf dem Parkplatz stehenden SUVs saß ein Dalmatiner fest und schaute sehnsüchtig zum Rückfenster hinaus. Sonnenstrahlen schlugen gegen das Glas, krochen zu ihm durch und stachen auf seine schwarzen Punkte ein wie hunderte brennende Pfeilspitzen. Er hatte unerträglichen Durst. Sämtliche Flüssigkeit in seinem Körper schien von seiner immer hektischer hechelnden Zunge in schleimigen Fäden auf den muffigen Filzstoff unter ihm zu triefen, wo sich mittlerweile ein Fleck gebildet hatte, der bald eingetrocknet wäre, wenn der Hund nicht unfreiwillig stetigen Nachschub geliefert hätte. Er schielte alle paar Sekunden mit weit aufgerissenen Augen auf diesen Fleck hinab. Bei dem Gedanken, seine Schnauze im Stoff zu versenken und sich die darin verborgene Flüssigkeit wieder einzuverleiben, lief ihm das Wasser im Mund zusammen, was den Speichelfluss kontraproduktiverweise noch verstärkte. Es blieb aber bei einem Gedanken, da sein Instinkt, in seiner Notlage so weit wie möglich Energie zu konservieren, ihn von derart aufwendigen Manövern abhielt. Allerdings konnte er sich diesem Instinkt weit genug widersetzen, um sich fortlaufend aufrecht zu halten, weil er fest entschlossen war, die Rückkehr seines Herrchens nicht zu verpassen. So saß er also, leicht schwankend, von der Sonne drangsaliert, in seinem Stahlkäfig, als ihn plötzlich das Geräusch herannahender menschlicher Schritte erreichte. Es klang nicht wirklich wie sein Herrchen, der Mensch hatte einen wesentlich härteren Auftritt, der zusätzlich nur in längeren Abständen zu hören war, zwischendurch rhythmisch durch ein dumpfes Pochen ergänzt. Eigentlich kam es auch aus der falschen Richtung, das Herrchen war ja zum Gebäude gegangen. Aber der Hund war zu erschöpft, um sich an solchen Fakten zu stören. Seine Ohren winkelten sich an, sein Kopf schnellte in Richtung des Geräusches, sogar sein Mund schloss sich für einen Moment, wobei immer noch ein Speichelfaden von seiner rechten Lefze baumelte. Sein Schwanz erhob sich zum Wedeln, verharrte aber in der Luft und sank dann langsam enttäuscht zurück auf den Stoff, während der Mann das Blickfeld des Hundes betrat und, ohne sich zu ihm umzudrehen, wieder verließ.

Der Mann, eine etwas untersetzte Gestalt mittleren Alters mit grauem, ungepflegtem Haar und einem filzigen Bart, der ihm bis zur Brust reichte, aufgrund seines gebückten Ganges im Moment sogar bis zu den Knien, schleppte sich weiter über den Parkplatz. Sein linker Arm, in dessen Hand er eine ausgebeulte, stellenweise löchrige Alditüte hielt, aus der oben eine zusammengerollte Isomatte lugte, schwang mit seinen Schritten gleichmäßig vor und zurück wie das Pendel einer nachgehenden Standuhr. Sein rechter Arm stützte sich auf einen alten Ast ab, den er mit jedem Schritt wuchtig auf den Asphalt donnerte, wie ein Eroberer, der triumphal die Flagge seines Landes in fremde Erde stößt. Sein rechter Schuh war vorne aufgerissen und entblößte seine Zehen, die wie die Zähne eines aufgeregt predigenden Mundes wirkten. Sein linker Schuh schwieg und ließ sich störrisch über den glühend heißen Asphalt hinterherschleifen. Der Mann kam nur sehr langsam und unter keuchender Anstrengung voran, aber sein Gang war gleichmäßig und zielsicher. Nach ungefähr 10 Minuten hatte er den roten Stuhl erreicht und ließ sich mit ausgestreckten Armen seufzend auf die schattige Grasfläche darunter fallen. Nach einer Weile legte sich endlich auch der Dalmatiner hin.

Etwa eine halbe Stunde später verließ eine Frau mit zwei Jungen an den Händen den Laden, hielt nach ein paar Schritten inne und kehrte um. Kurz darauf kam sie in Begleitung eines Angestellten wieder heraus. Sie ließ die beiden Jungs, welche, wohl aus Erfahrung, ein paar Schritte zurück auf Sicherheitsabstand gingen, los, um abwechselnd in Richtung des Stuhles zu zeigen und wild herumzufuchteln. Der Angestellte, etwas zurückgelehnt, bewegte sachte beschwichtigend seine offenen Handflächen vor und zurück, wobei er sie öfters reflexartig zurückzog und schützend vor sein Gesicht hielt, wenn die Frau für eine ihrer Gesten zu weit ausholte. Schließlich schien die Frau den Faden zu verlieren, ihr rechter Zeigefinger hing noch vage drohend in der Luft, aber ihr Mund schloss sich nach einer Weile schweigender Aufgerissenheit, während sich ihre Augenbrauen hoben. Der Angestellte nahm das als seinen Cue. Resigniert ließ er seine Hände fallen und schlurfte los, wobei seine Arme schlaff durch die Gegend geschleudert wurden, den Launen seiner Beine ausgeliefert.

Als er den Stuhl erreicht hatte, blieb er stehen und betrachtete für eine Weile schweigend den Mann darunter. Dem verschlissenen Zustand seiner Klamotten und dem Dreck in seinem Gesicht nach zu urteilen, handelte es sich wohl um einen Obdachlosen. Irgendwie war er dem Angestellten unheimlich. Ihm war bewusst, dass das ziemlich lächerlich war, schließlich könnte er, hochgewachsen und jung, wie er war, den Obdachlosen sicherlich leicht bezwingen, wenn es dazu kommen sollte, was ja nun auch nicht gerade wahrscheinlich war. Trotzdem brauchte es eine Weile, bis er sein Herz zu packen kriegte und mit einer etwas brüchigen, fast pubertär klingenden Stimme hervorbrachte: „Ähm… Tschuldigung?“. Der Obdachlose reagierte nicht. Tatsächlich bot er generell keine Lebenszeichen. Ein unangenehmes Kribbeln setzte im Nacken des Angestellten ein und verbreitete sich von dort aus in seinem ganzen Körper. Was würde er tun, wenn der Mann hier tot war? Oder schlimmer noch, im Sterben lag? Wäre er für den Mann verantwortlich? Was könnte, müsste, würde er tun…? Sich verzweifelt an seine professionelle Höflichkeit als letzten Schutzwall vor den grundlegenden Pflichten menschlichen Anstandes klammernd, rief er mit nur schlecht versteckter Panik: „Verzeihung? Hören Sie mich? Ich muss etwas mit ihnen besprechen.“ Kaum hatte die letzte Silbe seinen Mund verlassen, antwortete der Mann unterm Stuhl, ohne sich einen Millimeter zu bewegen, mit einer merkwürdig hohen, vogelartigen Stimme: „Habse schon beim ersten Mal gehört! Gibt keinen Grund, hier so rumzuschrein. Bin doch nich taub!“ Der Angestellte, von der plötzlichen Antwort und der überhaupt nicht zu diesem passenden Stimme des Obdachlosen überrumpelt, starrte ihn für eine Weile mit offenem Mund an, bis der Obdachlose, als Zeichen seines Entgegenkommens, den Kopf so weit anhob, dass sein Blick den des Angestellten traf, und zwitscherte: „Und? Watt is jetzt?“ Der Angestellte blinzelte unwillkürlich, klappte seinen Mund zu und antwortete, leicht peinlich berührt: „Sie müssen hier unterm Stuhl weg.“ Der Obdachlose begann, sich wie ein aus dem Schlaf gerissener Bär langsam aufzurichten. Der Angestellte schob schnell vorsichtshalber ein ‚tut mir leid‘ hinterher, aber der Obdachlose hatte sich nur auf seinen Ellbogen abstützen wollen, um sich besser mit dem Angestellten unterhalten zu können. „Wieso denn? Ich lieg hier doch nur. Stört doch niemanden.“ Der Angestellte seufzte. Eigentlich waren sie in dem Punkt einer Meinung. „Es haben sich Kunden beschwert.“ Er drehte sich zu der Frau, welche, ihre Jungs wieder an den Händen haltend, immer noch am Eingang stand. Als sie bemerkte, dass der Angestellte sie anschaute, nickte sie bekräftigend, obwohl sie zu weit weg stand, um der Unterhaltung folgen zu können. Sie schien für die orange getünchte Sonnenbrille, die ihre Augen unlesbar machte, durch umso heftigeres Nicken kompensieren zu wollen, wobei ihr Kinn aus der kaum noch als Hals identifizierbaren Fettmasse zwischen ihrem Kopf und ihren Schulten auftauchte, versank und wieder auftauchte, wie die Hand eines Ertrinkenden. Einer der Jungs, der jüngere, hatte den Blick zum Himmel gerichtet, wo gerade ein Flugzeug vorbeiflog. Der ältere, ungefähr Sieben, starrte unverwandt den Angestellten an, mit einem Blick, der es diesem trotz der Hitze kalt den Rücken runterlaufen ließ.
„Sie fühlen sich wohl durch Sie… äh… belästigt.“ Er hielt sich davon ab, „bedroht“ zu sagen, aber das war gar nicht nötig. Der Obdachlose hatte schon verstanden. „Was, wegen der da?“ Er hatte sich leicht vorgebeugt, um dem Blick des Angestellten zu folgen. Im Profil wurde nun eine entzündete Narbe über seinem linken Ohr sichtbar. „Wovor hat die denn bitte Angst…? Glaubt die, dass ich plötzlich aufspring und schreiend auf sie zu renne, wenn sie zu ihrem Auto geht? Gott! Ich bin gehbehindert, Mann!“ Er lachte spöttisch und zeigte mit dem Gehstock, welchen der Angestellte davor nicht als solchen aufgefasst hatte, auf seinen lahmen linken Fuß. Diese Enthüllung wirkte beruhigend auf den Angestellten, sämtliche Furcht vor dem Mann unterm Stuhl fiel von ihm ab. Jetzt fühlte er sich ihm sogar ein bisschen überlegen. Er verschränkte die Arme vor der Brust. Fest entschlossen, die Angelegenheit so schnell wie möglich zu beenden, verdeckte er sein Mitgefühl und sagte mit der eisernsten Stimme, die er hinbekam: „So oder so, unterm Stuhl zu liegen ist gegen die Hausordnung. Also, hoch jetzt!“ Der Obdachlose schien überrascht. „Wie, dat is gegen die Hausordnung…? Wenn man nich drunter liegen darf, wofür steht denn dann dieser Stuhl hier?“ Der Angestellte öffnete seinen Mund, zögerte dann aber. Wofür eigentlich…? „Das ist halt… Das ist das Markenzeichen des Ladens. ‚XXXL – die mit dem roten Stuhl!‘, schon mal gehört…?“ Der Obdachlose schüttelte den Kopf. Ohne es zu merken, fiel der Angestellt zurück in einen sanfteren Tonfall. „Das hier ist ein Möbelhaus, deswegen also ein Stuhl, aber… Wieso man den dann in so riesig auf den Parkplatz stellt… Wahrscheinlich, damit man ihn von der Autobahn aus sehen kann, dann denkt man sich im Vorbeifahren: ‚Ach, guck, ein XXXL, brauchen wir nicht noch einen Sessel oder so?‘ …Mann, so viel Geld hätte ich auch gerne, um einfach so spontan Möbel kaufen zu können…“ Sehnsüchtig schaute der Angestellte zum erbarmungslos blauen Himmel hoch. Sein Blick haftete sich an das Flugzeug, welches nun über dem Stuhl stand, während seine Gedanken zu dem schicken schwarzen Ledersofa in der Wohnzimmerabteilung wanderten, auf dem er sich manchmal während seiner Pausen räkelte. Bei sich zu Hause - viel mehr, in seiner Wohnung - hatte er nur ein ranziges, zerfleddertes altes Ding, das er vor acht Jahren vom Bürgersteig mitgenommen hatte. Damals war ihm der Zustand seiner Möbel egal gewesen, er hatte nur so schnell und billig wie möglich seine erste eigene Wohnung einrichten wollen, in die er direkt an seinem Achtzehnten Geburtstag gezogen war - rückblickend viel zu früh. Irgendwie war er sogar stolz gewesen auf seine eklige Couch, sie war für ihn ein Statement, Erfüllung des damals noch an ihm klebenden jugendlichem Bedürfnis nach Rebellion gegen die scheinheilig saubere, bürgerliche Welt seiner Eltern. Dementsprechend hatte er die nächsten paar Jahre verbracht, bis ihn eines Tages das Leben einholte. Nun kroch er jeden Abend todmüde über die Türschwelle seiner Wohnung und wünschte sich nichts lieber, als sich auf ein Sofa fallen zu lassen, das keinen Brechreiz in ihm hervorrief. Aber die Schulden hatten nun mal Vorrang.
Während der Angestellte diesen Gedanken nachhing, fixierte der Obdachlose mit angestrengt zusammengekniffenen Augen einen Punkt über dem Kopf des Angestellten und mimte mit dem Mund unsicher verschiedene Laute. Anscheinend suchte er in seinen überhitzten Gehirngängen nach den richtigen Worten für das, was er jetzt sagen wollte. Endlich setzte er an: „Wenn das hier n Möbelhaus is… dann isses doch quasi Ihre Mission, den Menschen ein möglichst bequemes Zuhause zu ermöglichen, oder?“ Er schaute erwartungsvoll den Angestellten an, welcher, so plötzlich aus seinem Tagtraum gerissen, zunächst nichts zu erwidern hatte, was der Obdachlose als Bestätigung auffasste. „Nun, Ich bin obdachlos, was heißt, dass draußen quasi mein Zuhause is, also Straßen und Parkplätze wie dieser hier… Und unterm Stuhl is das einzige bisschen Schatten weit und breit, und es is arschheiß, ich sehe doch, dass Sie sich auch den Arsch abschwitzen… müsstense mich dann nich eigentlich hier liegen lassen?“ Der Angestellte hatte den Anfang des Satzes nur halb mitbekommen und konnte dem Gedankengang des Obdachlosen daher nicht folgen, hielt also weiter stirnrunzelnd den Mund. Das Schweigen des Angestellten erneut fehlinterpretierend, fing der Obdachlose an zu lächeln und nickte stolz. Er kam richtig in Fahrt, redete auf einmal viel hochgestochener, als man es ihm zugetraut hätte; er ließ seine Vogelstimme zu Höchstleistungen aufschwingen, betonte jede Silbe laut, deutlich und bedeutungsschwanger langsam, als würde er vor großem Publikum eine weltverändernde Rede halten, obwohl er immer noch halb lag: „Sehen Sie: Dieser Stuhl, Symbol eines Möbelhauses, bietet mir, einem armen, schicksalsgeplagten Mann, Unterschlupf und Erfrischung. Isset nich was Wunderschönes, wenn schon allein dieser Stuhl, eigentlich nichts als Deko, den selbstauferlegten Auftrag Ihres feinen Establishments hier erfüllen kann? Wie es unsere Urvorfahren einst in die kalten Höhlen zog, zog es mich unter diesen Stuhl. Dadurch, dass ich unter ihm liege, tritt der Stuhl die Erbschaft der Höhlen an und wird zur Erfüllung der sich nie ändernden grundlegenden Bedürfnisse des Menschen! Is dat nich fantastisch? Ich sag’s Ihnen! Es steht im direkten Interesse Ihres Ladens, mich hier liegen zu lassen!“
…Wohl ein gescheiterter Geisteswissenschaftler. Den Angestellten überkam plötzlich eine drückende Müdigkeit. Er hatte genug, genug vom Obdachlosen, genug von der Frau am Eingang, genug von seinem Job, von dieser Hitze, von diesem Leben. Er wollte nach Hause, wirklich nach Hause, zu seiner Mutter, als Kind am Tisch sitzen und Spaghetti auf einer Gabel aufdrehen, als wäre nie etwas gewesen… Er seufzte und machte eine abwerfende Handbewegung. „Hören Sie mal, wenn’s nach mir ginge, könnten Sie ja ruhig da liegenbleiben… Aber dann beschwert sich die Frau da hinten bei meinem Chef, bei dem bin ich eh schon auf dünnem Eis… Und morgen kann ich mich dann mit dem Gärtner rumschlagen, der ist bei sowas ganz penibel, der guckt sogar notfalls im Kalender nach, wer Schicht hatte, wenn er sieht, wie platt der Rasen unterm Stuhl ist…“ Der Obdachlose, augenscheinlich beleidigt, dass man seine Rede völlig ignoriert hatte, fragte: „Wartense mal, der Rasen hier unterm Stuhl wird gemäht?“ Der Angestellte seufzte erneut. „Alle zwei Wochen.“ Der Obdachlose grunzte. „Und dafür habt ihr extra wen angeheuert?“ Es war offensichtlich, dass er sich bereit machte, loszubrüllen, wobei dem Angestellten nicht klar war, worüber. Allerdings hatte er auch nicht mehr die Kraft, sich darüber groß Gedanken zu machen, also antwortete er einfach matt: „Der Gärtner ist auch für den Outdoorbereich zuständig…“ Und dann ging es, wie erwartet, los. „Das is ja wohl das Bescheuertste, was ich je in meinem Leben gehört hab! Wenn man nich drauf liegen darf, und der Stuhl hier für die Leute auf der Autobahn steht, von der aus man ja wohl kaum das grüne Schandfleckchen hier erkennen kann, für wen zum Teufel mäht ihr dann bitte den verdammten Rasen!?“ Die Antwort auf diese Frage sollte der Angestellte ihm schuldig bleiben. Während der Mann unterm Stuhl den Sinn des Rasenmähens infrage stellte, sorgte ein nicht abgedrehter Gashahn im möbelhauseigenen Restaurant für eine Explosion.

Der Dalmatiner hob zum letzten Mal seinen Kopf.

Die Stahlrahmen des Gebäudes schienen sich aufzublähen, dann zerborsten die Fensterscheiben. Eine Hitzewelle stieß aus dem Gebäude heraus und erfasste den Parkplatz und das umliegende Brachland, welches schlagartig, soweit der Blick reichte, in kniehohen Flammen stand. Die immergrünen Hecken, die die Parkräume eingerahmt hatten, bildeten nun einen Irrgarten aus Feuersäulen, in dessen Gängen die brennenden Autowracks, von denen einige noch für Stunden nach der Explosion schrill Alarm schlugen, wie lachende Dämonen saßen. Das rote Schild an der Vorderseite des Ladens zersplitterte. Die Einzelteile zerstreuten sich über den Parkplatz. Eines, auf dem ein „L“ geschrieben stand, erwischte den Angestellten, welcher jedoch schon von der ersten Hitzewelle dahingerafft worden war. Die Stahlrahmen des Gebäudes kippten zu den Seiten weg. Verkokelte Möbelüberreste regneten auf den angeschmolzenen Asphalt. Nun, da der Laden dem Erdboden gleichgemacht war, thronte einzig der rote Stuhl, jahrelang geflissentlich gepflegt, über der infernalen Einöde. Überall am Stuhl zerliefen Teile des roten Lacks und hingen herunter wie Bluteiszapfen. Wäre ein Mensch da gewesen, um diesem Anblick Zeuge zu leisten, so hätte er erwarten müssen, das irgendetwas riesiges, übermenschliches aus dem Himmel hinab- oder aus der Erde hinaufsteigen würde, um auf dem Stuhl Platz zu nehmen; aber die Menschen waren alle tot, und die Erde blieb verschlossen und der Himmel blau, auch wenn man das hinter all dem Rauch nicht gesehen hätte. Nach einer Weile knickte endlich auch der Stuhl ein.

In den Abendnachrichten hieß es dann, dass der Tag sämtliche Temperaturprognosen bei weitem übertroffen habe und es sich nun im nationalen Mittel offiziell um den heißesten Tag seit Beginn der Wetteraufzeichnungen handele. Und obwohl niemand es aussprach, schien ein stilles Verständnis zwischen Moderatoren, Meteorologen und Zuschauern zu bestehen, dass der Rekord im nächsten Jahr erneut gebrochen werden würde.




(ich weiß auch nicht, was ich gegen Möbelhäuser hab...)