Über die Kunst des Holzfällens

Seit neuestem schrieb Jano, eine Seite jeden Tag. Seine Mutter fand das entzückend. Sie stellte seine Werke gerne zur Schau, zunächst, indem sie sie an die Kühlschranktür heftete; als diese dann zweischichtig mit Blättern bedeckt war und die Magneten keine dritte Schicht halten wollten, wich sie auf andere Türen aus, auf Badezimmertür, Schlafzimmertür, Gästezimmertür, zuletzt sogar auf die Außenseite der Haustür, wofür sie die Blätter in Klarsichtfolie legte. Jano blieb von diesen Lobhuldigungen denkbar unberührt. Für ihn war es nun mal sein Beruf, den er jeden Tag auf pragmatisch routinierte Weise ausübte, nichts weiter und nichts weniger. Auch heute rannte er nach der Schule ins Büro und holte sich Werkzeug und Material- Stift und Papier-; wanderte weiter zum Flur, wo er seine Arbeitskleidung anzog, die Schuhe seines Vaters, und schlurfte die Treppe hoch zu seinem Arbeitszimmer, so schnell, wie die Schuhe es ihm erlaubtem. Die waren ihm nämlich eigentlich noch viel zu groß, aber beim Schreiben war das egal. Sein Vater war eh der größte Mann der Welt. Er überragte bestimmt sogar oft seine Bäume. Deswegen hatten die Bäume wahrscheinlich auch Respekt vor ihm, und das mussten sie haben, sonst würden sie sich ja nicht von ihm fällen lassen. Deswegen war es für Holzfäller wichtig, groß zu sein. Jano war auch Holzfäller, auch wenn er noch zu klein war, um seinen Vater zu begleiten. Das Papier, auf dem er schrieb, wurde aus Bäumen gemacht, dass hatte sein Vater ihm gesagt, und Jano erzählte für jedes seiner Subjekte den Wandlungsprozess vom türmenden Baum zum flachen Blatt, wodurch er selbst zum Holzfäller wurde. Neben der Größe war es für Holzfäller besonders wichtig, ein scharfes Auge zu haben. Man musste seinen Baum verstehen können. Jano musterte das heutige Blatt mit Holzfällerblick von allen Seiten. Er bemerkte kleine Unebenheiten und Knüllen, die ihn an das Faltengesicht von Onkel Prell erinnerten, sein Nachbar, der manchmal auf ihn aufpasste, wenn seine Eltern ausgingen. Außerdem bemerkte er einen Tassenabdruck an der unteren linken Ecke. Sofort hatte er die Natur dieses Baumes begriffen und machte sich triumphierend ans Schreiben:

Ich laufe durch einen Wald und werde vom Baum gesehen. „Hallo, wie heißt du?“ fragt er mich. Ich antworte: „Ich bin Holzfäller und werde dich fällen.“ Der Baum lacht und sagt: „bist du nicht ein wenig klein für einen Holzfäller? Von dir lass ich mich nicht fällen. Sei mir aber nicht böse, ich lade dich auch auf eine Tasse Tee ein.“ Ich frage ihn: “Magst du Tee?“ Er antwortet: “In der Tat, ich liebe Tee, Tee ist alles, was mir in meinem Alter noch Freude bringt. Ich habe nicht Früchte wie die Apfelbäume hier, weißt du, und ich fühle mich so schrecklich einsam. Nur wenn für zwei Wochen im Jahr neben mir der Tee wächst kann ich ihn mir kochen und mich an ihm wärmen.“ Ich sage zum Baum: „Was wäre, wenn du ein Blatt Papier wärst, dann könnte man dich als Tassenuntersetzer benutzen, dann wärst du jeden Tag nah am Tee und könntest dich an ihm wärmen.“ Der Baum stimmt zu, und ich beginne meine Arbeit. Ich zersäge ihn in kleine Stücke und klebe sie zu einem Blatt Papier zusammen, diesem Blatt.

Zufrieden lehnte Jano sich fingerknackend zurück und betrachtete den frisch gefällten Baum, die Frucht seiner harten Arbeit. Damit war er fertig für heute. Feierabend, wie das duftet! Wie Spaghetti Bolognese. Und er sprang aus seinem Schreibtischstuhl auf und lief die Treppe herunter, weil seine Mutter gerade zum dritten mal zum Abendessen gerufen hatte.